Erstveröffentlichung im Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 188 – Januar / Februar 2021
Die Organisation »Ein Prozent« ist mittlerweile einer der maßgeblichen Produzenten von kulturpolitischen Inhalten der sogenannten »Neuen Rechten«. Im Jahr 2020 baute »Ein Prozent« die Bandbreite an Formaten insbesondere im digitalen Raum noch einmal aus. Eine Bestandsaufnahme.
»Ich werde die Zeit jetzt nutzen, um sie stärker in den echten Widerstand, im wirklichen Leben zu stecken. Es gibt durchaus eine Gefahr, die in den digitalen Medien steckt, sich in einen digitalen Biedermeier zurückzuziehen, nicht mehr auf die Straße zu gehen (…). Es gibt die Gefahr von uns patriotischen Aktivisten, anstatt auf die Straße zu gehen, einfach die Kamera anzumachen«. Dies verkündete der führende Kader der »Identitären Bewegung Österreich«, Martin Sellner, am 20. Juli 2020 vor rund 800 Teilnehmer*innen auf einer Kundgebung der PEGIDA in Dresden. Hintergrund der großspurigen Ankündigung wird die Löschung seiner reichweitenstarken Kanäle auf YouTube gewesen sein. Geblieben ist davon wenig. Nicht nur, dass von der ehemals »größten Jugendbewegung« Europas kaum mehr etwas wahrzunehmen ist. 2020 ist ein deutlicher Rückzug ins Mediale zu beobachten – nicht zuletzt bei der Organisation »Ein Prozent«. Der eingetragene Verein wird vom Vorstand Philip Stein vertreten. Stein, Pressesprecher der »Deutschen Burschenschaft«, ist auch Inhaber des ebenfalls in Dresden ansässigen »Jungeuropa Verlags«.
Das selbsternannte »Bürgernetzwerk« gestaltet, organisiert und produziert mittlerweile eine Vielzahl medialer Formate. Angekündigt wurde bereits Ende 2019, dass »in Zukunft die unterschiedlichsten Medien, Formate und Zielgruppen bespielt werden (müssen)«. Das YouTube-Format »Laut gedacht« der beiden »Identitären« Alexander Kleine und Phillip Thaler wird seit Dezember 2020 im durch »Ein Prozent« finanzierten professionellen »ersten patriotischen Filmstudio« aufgenommen. Neu im Programm ist Alexander Kleines eigene Sendung »Kulturlabor«, in dem er alle zwei Wochen »patriotische Gegenkultur« bespricht. Im Laufe des Jahres 2020 war bereits die »Lagebesprechung. Der Podcast zur politischen Krise« als neues Format dazugekommen. In regelmäßigen Sendungen, die »Ein Prozent« gemeinsam mit dem österreichischen »Magazin für Selbstdenker« »Freilich«, der Zeitschrift »Sezession« sowie dem »Verlag Antaios« produziert, sind diverse Vertreter*innen der »Neuen Rechten«, vor allem auch der »Alternative für Deutschland« (AfD), zu Gast und unterhalten sich mit dem Gastgeber Jonas Schick über verschiedene Themen. Anfangs widmete man sich der Corona-Pandemie, inzwischen ist die Lage der AfD, jugendlicher Aktivismus oder tagespolitische Themen wie die Regierungskrise in Sachsen-Anhalt auf der Agenda.
Schick – ehemaliger Aktivist der »Identitären« und Ex-Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten in der Bremer Bürgerschaft Frank Magnitz – knüpft dabei nahtlos an seine Bremer Zeit an, zu der er den Podcast »90 Grad« produzierte. Der »Oikos Verlag«, bei dem seit Mai 2020 die Zeitschrift »Die Kehre – Zeitschrift für Naturschutz« erscheint, hat bei »Ein Prozent« seinen Sitz. Verantwortlich für dieses Blatt zeichnet ebenfalls Jonas Schick. Im Dezember 2020 veröffentlichte »EP Musik« das Album des RechtsRockers »Sacha Korn«. Korn war bereits 2011 auf der »Schulhof-CD« der NPD im sachsen-anhaltischen Wahlkampf vertreten. Im selben Jahr hat ihn der ehemalige sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Arne Schimmer für das mittlerweile eingestellte Magazin »Hier & Jetzt« interviewt. Mit »Hydra Comics« verwirklichte der ehemalige »Junge Nationalisten«-Vorsitzende und »Ein Prozent«-Mitarbeiter Michael Schäfer ein persönliches Projekt. Für eine limitierte Sonderauflage der ersten Ausgabe von »Hydra Comics« gestaltete »Wolf PM« die Titelseite. Der rechte Künstler gestaltete auch das neue Studio und seine Bilder sind im Onlineshop des neonazistischen Kampfsportevents »Kampf der Nibelungen« zu sehen.
Der Hype
Die bekannteste Veröffentlichung aus dem Hause »Ein Prozent« war 2020 das Computerspiel »Heimat Defender: Rebellion«, das Mitte September veröffentlicht wurde. Spieler*innen übernehmen die Charaktere rechter Akteur*innen und sollen die Welt vor sogenannten »Non-Player-Characters« retten. Das Spiel versucht an die Welt der Gamer anzuknüpfen und reagiert damit auf einen wachsenden Stellenwert von Memes, Foren und Imageboards. Es vermittelt spielerisch und niedrigschwellig antisemitische und rassistische Ideologie. Und es soll die User*innen zu eigenen Taten anstiften. In der Besprechung des Comics zum Spiel bemerkt Martin Sellner süffisant: »In diesem Spiel sind die Figuren als das überzeichnet, was sie heute schon fast in der Realität sind. Von einer zentralen Intelligenz gesteuerte Roboter. Und Malenki (Alexander Kleine) tut das einzig mögliche, er wirft ihnen eine Axt ins Gesicht«.
Nach den Attentaten im OEZ in München 2016, im neuseeländischen Christchurch 2018 oder Halle 2019 dürften Gamingplattformen für die extreme Rechte an Bedeutung gewonnen haben. Hier hatten sich die Attentäter vom OEZ in München 2016, im neuseeländischen Christchurch 2018 oder in Halle 2019 radikalisiert und die Videos ihrer Taten zur Nachahmung gestreamt. Mit dem Mörder von Christchurch stand Martin Sellner mindestens per Mail in Kontakt, nach dessen Spende in Höhe von 1.500 € für die »Identitäre Bewegung«.
Strategie oder Rückzug
Mit den verschiedenen medialen Formaten – vom klassischen RechtsRock über das Ökologie-Magazin und Politik-Podcast bis hin zu YouTube, Comics und Computerspiel – liefert »Ein Prozent« Content für viele Alters- und Interessengruppen, die im Kampf um die Köpfe erreicht und gebunden werden sollen.
Mit der Breite der Angebote einher geht eine Zentralisierung. Die ist Folge der unter dem Dach von »Ein Prozent« fortschreitenden Professionalisierung der Medienarbeit. Mitarbeiter*innen werden bezahlt, Technik finanziert, Zeit für die Konzeptualisierung aufgewendet. »Ein Prozent« bietet sich – mit dem üblichen Maß an Selbstgefälligkeit – an als »Powerbude des patriotischen Widerstands« und wirbt um kreative Projekte. Das hat durchaus Strategie, für die der Name »Ein Prozent« steht: Weg von der Massenorganisation, hin zu einer kleinen, professionalisierten Kadergruppe, welche die kulturelle Hegemonie zurückgewinnen soll. Die Zusammenarbeit mit weiteren Vertreter*innen dieses Ansatzes, wie den Verlagen »Jungeuropa« oder »Antaios«, ist naheliegend. So bildet sich rund um »Ein Prozent« eine Blase, in der sich jedes Projekt auf das andere bezieht: Martin Sellner bespricht »Heimat Defender« im »Kulturlabor«, Michael Schäfer stellt »Hydra Comics« im Podcast von »Jungeuropa« vor, Jonas Schick wirbt in der »Sezession« für seine »Kehre«. Im gemeinsamen Podcast »Lagebesprechung« kommen alle zu Wort. Auf allen Kanälen wird so ein selbstreferenzieller Rahmen geschaffen, der die Projekte größer wirken lässt, als sie in Wirklichkeit sind. Eine ähnliche Täuschung war den »Identitären« gelungen – durch medienwirksame Aktionen sollte der Eindruck erweckt werden, hier sei eine neue Jugendbewegung am Werk. Faktisch haben eine Handvoll Daueraktivist*innen mit hohem Output den Laden am Laufen gehalten. Diese Zentralisierung ist jedoch nicht allein freiwillig, sondern folgt auch aus dem Wegfall von Strukturen, wie dem Hausprojekt »Flamberg« in Halle (s. drr Nr. 182) und den Strukturen der »Identitären Bewegung« insgesamt. Vieles, was zuvor aus verschiedenen Zusammenhängen und an verschiedenen Orten entstand, wird heute von »Ein Prozent« in Dresden initiiert, präsentiert und finanziert. Und auch sonst ist die Selbstreferenz unumgänglich, einfach weil gerade im Kultursektor nicht viel existiert, auf das sich »Ein Prozent« sonst beziehen könnte.
In der kulturellen Sackgasse
Die Fokussierung auf kulturelle Themen hatte »Ein Prozent« Ende 2019 angekündigt: »Im Sommer 2019 haben wir mit unserer Großkampagne und der gewachsenen Wahlbeobachtung unseren Teil für die parlamentarische Wende geleistet, nun muss der Fokus wieder auf dem Ausbau des patriotischen Umfeldes liegen.« Deshalb werde das »Jahr 2020 voll im Zeichen der patriotischen Gegenkultur stehen.« Aufgabe dieser sei es, einer politischen Bewegung Stil und Haltung zu verleihen und damit eine gemeinsame Identität zu stiften, wie es sonst nur politische Anlässe wie Wahlen, Demonstrationen und Großereignisse vermögen. Im Gegensatz zur Subkultur schaffe Gegenkultur jedoch keine Nische, sondern »will selbst herrschende Kultur werden«.
Ob sie mit den neuen Formaten allerdings diesem Anspruch gerecht werden, darf bezweifelt werden. Erst recht, nachdem im Dezember 2020 YouTube den »Ein Prozent« Kanal sperrte. Das Videospiel »Heimat Defender« überlebte nur eine Woche im Store der Spieleplattform Steam.